Predigt vom 26. Dez 2000 (2. Weihnachtsfeiertag)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Weihnachten das Fest der Würde des Menschen
Predigttext

Weihnachten - Fest der Liebe, Fest des Friedens, Fest der Familie; Fest der Menschwerdung Gottes.

Ich möchte einmal über einen wohl eher ungewohnten Aspekt dieses Festes nachdenken, nämlich über Weihnachten als Fest der Würde des Menschen und damit über Weihnachten als Fest der Menschenwürde und Menschenrechte. 

Es ist in unserem Land alles andere als selbstverständlich geworden, an Gott zu glauben. Noch viel schwerer tun sich freilich viele Menschen, darüber hinaus auch noch an die Kernaussage des christlichen Bekenntnisses glauben zu sollen: nämlich daran, dass dieser Gott in der göttlichen Person des Sohnes auch noch Mensch geworden sein soll (genauer: dass eine der innergöttlichen Personen des dreieinigen Gottes nämlich der ewige Sohn des Vaters, allen Ernstes einer von uns geworden sein soll).

Dass dies kein weiterer Mythos der Religionsgeschichte ist, sondern tatsächlich geschehen sei, als ein Faktum der Weltgeschichte, ist nicht beweisbar. Wohl aber ist es ein Faktum der Weltgeschichte, dass es diese Überzeugung seit nunmehr über zweitausend Jahren gibt; den Glauben nämlich, dass uns durch die Augen des Kindes in der Krippe tatsächlich Gott selbst anschaut; den Glauben, dass Gott sich gewürdigt hat, unsere menschliche Natur mit aller Konsequenz anzunehmen; oder besser: dass Gott uns gewürdigt, uns für wert befunden hat, ein Mensch zu werden wie wir. 

Von der Wirkungsgeschichte dieses Glaubens leben wir bis heute, lebt gerade auch unser säkularisierter Rechtsstaat, der gegründet ist auf Menschenrechte und Anerkennung der Würde jedes Menschen. Denn hier war die Initialzündung für eine ganz neue Sicht des Menschen und seines Wertes gegeben. Wenn Gott sich und uns würdigt, einer von uns zu werden, um für restlos alle Menschen, Männer und Frauen, Große und Kleine, Mächtige und Ohnmächtige, Freie und Sklaven, Reiche und Arme geboren zu werden, für sie alle zu sterben, um alle zu erlösen, - wenn Gott uns dieses Selbsteinsatzes für wert und würdig angesehen hat - dann ist das, was wir Menschenwürde nennen, nur die innere Konsequenz dieses Glaubens.

Ein erster Ansatz für diese Sicht des Menschen war gewiß, als erstmals im Alten Testament das Wort vom Menschen als Abbild Gottes formuliert wurde. Aber diese unvergleichlich große Aussage über den Menschen hatte zunächst keine bedeutendere Wirkungsgeschichte, weil sie innerhalb eines kleinen Volkes am Rande der Weltgeschichte verblieb, nämlich innerhalb des jüdischen. Erst das Christentum - das nie wie das Judentum nur der Glaube eines Volkes war, - machte diese Idee vom Menschen universal und zugleich vertiefte und radikalisierte es sie durch den Glauben an die Menschwerdung Gottes. So sehr sich die Christenheit im Verlaufe der Jahrhunderte in Reden und Handeln immer wieder auch gegen die Würde der Menschen versündigt hat - ohne den christlichen Glauben hätte sich die Überzeugung von eben dieser unveräußerlichen Würde schlechterdings jedes Menschen niemals durchsetzen können.

Die Frage heute ist, ob der Verlust des Christlichen Glaubens in weiten Teilen der Bevölkerung unseres sogenannten christlichen Abendlandes nicht wie in einem Strudel auch die Achtung vor der Würde jedes Menschen mitreißt und schrittweise aushöhlt, zu der untrennbar die Achtung vor dem Leben der Menschen gehört. Die Zeichen stehen auf Sturm.

Nur drei Beispiele:

In Holland ist erst kürzlich jene schon langjährige Praxis der "aktiven Sterbehilfe" legalisiert worden, durch die ca. viertausend Menschen jährlich aktiv von Ärzten getötet werden, davon - sie hören nun richtig - etwa tausend ohne vorherige Einwilligung. Mir ist der Fall bekannt, bei dem ein Sohn seinen sterbenden Vater rechtzeitig vor seinem Urlaub durch einen Arzt "entsorgt" haben wollte. Die Sprecherin der Deutschen Hospiz-Stiftung Monika Schweihoff spricht im Gegensatz zur angeblich so humanen Euthanasie von Komplikationen, die bei jedem Vierten der Getöteten auftauchen und davon, dass immer wieder "Opfer aktiver Sterbehilfe" aus dem Koma mit schweren Schäden aufwachen.

Am barbarischsten aber will mir noch etwas anderes erscheinen: Es wird auf Dauer nicht mehr der Arzt sein, der sich zu rechtfertigen hat, weil er einen Patienten tötet; sondern durch solche Gesetze wird unweigerlich z. B. in pflegebedürftigen Menschen das Gefühl aufsteigen: ich muss mich rechtfertigen, wenn ich nicht um die erlösende Spritze bitte, die scheinbar mich, in Wirklichkeit aber die anderen erlöst, denen ich durch Kosten und beanspruchte Pflegekraft und - zeit zur Last falle. Wer fällt schon gerne zur Last? Welch ungeheurer Druck wird auf Patienten lasten, doch endlich freiwillig zu gehen. Obwohl, wie die Hospizbewegung zeigt, Palliativmedizin und Palliativpflege so weit fortgeschritten sind, dass in den allermeisten Fällen ein weitgehend schmerzfreies und menschenwürdiges Sterben möglich wäre, beseitigt man lieber den Leidenden anstatt das Leid und vermeidet so die Anstrengung, die dies kostet.
Der Marburger Bund warnte davor, den "tötenden Arzt" zuzulassen. Denn das Töten eines Menschen gehöre nicht zu den Aufgaben eines Arztes. Leider gehört dies aber schon lange nicht mehr zum Ehrenkodex aller Ärzte, nämlich nicht jener die - zweites Beispiel - an den ca. fünfzig Millionen Abtreibungen jährlich weltweit beteiligt sind. Kinder wie jenes, das wir an Weihnachten feiern, die aber nicht in den Lebensplan ihrer Erzeuger passen, müssen ihr Leben lassen. Wie oft sind dabei zwei Opfer zu beklagen: das Kind, dessen physische Existenz vernichtet und getötet wird; die Mutter, deren Glück und Seelenfrieden getötet wird, jedenfalls in unzähligen Fällen.

Drittes Beispiel: Das verbrauchende Klonen menschlicher Embryonen zu noch sehr vagen therapeutischen Zwecken, wie es in England jüngst verabschiedet wurde. Der Mensch, nicht mehr um seinetselbstwillen da, so könnte man das Wort Menschenwürde auch umschreiben, sondern restlos verzweckt als Ersatzteillager, als Rohstoff und Organlieferant für andere.

Liebe Schwestern und Brüder!

Weihnachten - das Fest der Würde jedes Menschen, weil diese Würde in Gott und im Wunder der Menschwerdung Gottes ihre eigentliche und letzte Verankerung und Begründung hat - dieses Weihnachten ist ein Vermächtnis von Gott her an uns Menschen zugunsten von uns Menschen. Dass Gott Mensch wird, sagt daher nicht nur etwas über Gott aus, sondern gerade auch über den Menschen, über unseren Wert und unsere Würde von Gott her. Der Glaube daran und die Verantwortung vor Gott und Mensch, die sich daraus ergibt, ist uns zu treuen Händen übergeben. Werden wir jeweils unseren Teil dieser Verantwortung durch unser Reden und Tun wahrnehmen?

Pfarrer Bodo Windolf

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