Weihnachten - Fest der Liebe, Fest des Friedens, Fest der
Familie; Fest der Menschwerdung Gottes.
Ich
möchte einmal über einen wohl eher ungewohnten Aspekt dieses Festes
nachdenken, nämlich über Weihnachten als Fest der Würde
des Menschen und damit über Weihnachten als Fest der Menschenwürde und
Menschenrechte.
Es ist in unserem Land alles andere als selbstverständlich geworden, an Gott zu
glauben. Noch viel schwerer tun sich freilich viele Menschen, darüber hinaus
auch noch an die Kernaussage des christlichen Bekenntnisses glauben zu sollen: nämlich
daran, dass dieser Gott in der göttlichen Person des Sohnes auch noch Mensch
geworden sein soll (genauer: dass eine der innergöttlichen Personen des
dreieinigen Gottes nämlich der ewige Sohn des Vaters, allen Ernstes einer von
uns geworden sein soll).
Dass dies kein weiterer Mythos der Religionsgeschichte ist, sondern tatsächlich geschehen
sei, als ein Faktum der Weltgeschichte, ist nicht beweisbar. Wohl aber ist es
ein Faktum der Weltgeschichte, dass es diese Überzeugung seit nunmehr über
zweitausend Jahren gibt; den Glauben nämlich, dass uns durch die Augen des
Kindes in der Krippe tatsächlich Gott selbst anschaut; den Glauben, dass Gott
sich gewürdigt hat, unsere
menschliche Natur mit aller Konsequenz anzunehmen; oder besser: dass Gott uns
gewürdigt, uns für wert befunden hat, ein Mensch zu werden wie wir.
Von der Wirkungsgeschichte dieses Glaubens leben wir bis heute, lebt gerade auch
unser säkularisierter Rechtsstaat, der gegründet ist auf Menschenrechte und
Anerkennung der Würde jedes Menschen. Denn hier war die Initialzündung für
eine ganz neue Sicht des Menschen und seines Wertes gegeben. Wenn Gott sich und
uns würdigt, einer von uns zu werden, um für restlos alle Menschen, Männer
und Frauen, Große und Kleine, Mächtige und Ohnmächtige, Freie und Sklaven,
Reiche und Arme geboren zu werden, für sie alle zu sterben, um alle zu erlösen,
- wenn Gott uns dieses Selbsteinsatzes für wert und würdig angesehen hat -
dann ist das, was wir Menschenwürde nennen, nur die innere Konsequenz dieses
Glaubens.
Ein erster Ansatz für diese Sicht des Menschen war gewiß, als erstmals im
Alten Testament das Wort vom Menschen als Abbild Gottes formuliert wurde. Aber
diese unvergleichlich große Aussage über den Menschen hatte zunächst keine
bedeutendere Wirkungsgeschichte, weil sie innerhalb eines kleinen Volkes am
Rande der Weltgeschichte verblieb, nämlich innerhalb des jüdischen. Erst das
Christentum - das nie wie das Judentum nur der Glaube eines Volkes war, - machte
diese Idee vom Menschen universal und zugleich vertiefte und radikalisierte es
sie durch den Glauben an die Menschwerdung Gottes. So sehr sich die Christenheit
im Verlaufe der Jahrhunderte in Reden und Handeln immer wieder auch gegen die Würde
der Menschen versündigt hat - ohne den christlichen Glauben hätte sich die Überzeugung
von eben dieser unveräußerlichen Würde schlechterdings jedes
Menschen niemals durchsetzen können.
Die Frage heute ist, ob der Verlust des Christlichen Glaubens in weiten Teilen
der Bevölkerung unseres sogenannten christlichen Abendlandes nicht wie in einem
Strudel auch die Achtung vor der Würde jedes Menschen mitreißt und
schrittweise aushöhlt, zu der untrennbar die Achtung vor dem Leben
der Menschen gehört. Die Zeichen stehen auf Sturm.
Nur drei Beispiele:
In Holland ist erst kürzlich jene schon langjährige Praxis der "aktiven
Sterbehilfe" legalisiert worden, durch die ca. viertausend Menschen jährlich
aktiv von Ärzten getötet werden, davon - sie hören nun richtig - etwa tausend
ohne vorherige Einwilligung. Mir ist der Fall bekannt, bei dem ein Sohn seinen
sterbenden Vater rechtzeitig vor seinem Urlaub durch einen Arzt
"entsorgt" haben wollte. Die Sprecherin der Deutschen Hospiz-Stiftung
Monika Schweihoff spricht im Gegensatz zur angeblich so humanen Euthanasie von
Komplikationen, die bei jedem Vierten der Getöteten auftauchen und davon, dass
immer wieder "Opfer aktiver Sterbehilfe" aus dem Koma mit schweren Schäden
aufwachen.
Am barbarischsten aber will mir noch etwas anderes erscheinen: Es wird auf Dauer
nicht mehr der Arzt sein, der sich zu rechtfertigen hat, weil er einen Patienten
tötet; sondern durch solche Gesetze wird unweigerlich z. B. in pflegebedürftigen
Menschen das Gefühl aufsteigen: ich muss mich rechtfertigen, wenn ich nicht um
die erlösende Spritze bitte, die scheinbar mich, in Wirklichkeit aber die
anderen erlöst, denen ich durch Kosten und beanspruchte Pflegekraft und - zeit
zur Last falle. Wer fällt schon gerne zur Last? Welch ungeheurer Druck wird auf
Patienten lasten, doch endlich freiwillig zu gehen. Obwohl, wie die
Hospizbewegung zeigt, Palliativmedizin und Palliativpflege so weit
fortgeschritten sind, dass in den allermeisten Fällen ein weitgehend
schmerzfreies und menschenwürdiges Sterben möglich wäre, beseitigt man lieber
den Leidenden anstatt das Leid und vermeidet so die Anstrengung, die dies
kostet.
Der Marburger Bund warnte davor, den "tötenden Arzt" zuzulassen. Denn
das Töten eines Menschen gehöre nicht zu den Aufgaben eines Arztes. Leider gehört
dies aber schon lange nicht mehr zum Ehrenkodex aller Ärzte, nämlich nicht
jener die - zweites Beispiel - an den ca. fünfzig Millionen Abtreibungen jährlich
weltweit beteiligt sind. Kinder wie jenes, das wir an Weihnachten feiern, die
aber nicht in den Lebensplan ihrer Erzeuger passen, müssen ihr Leben lassen.
Wie oft sind dabei zwei Opfer zu beklagen: das Kind, dessen physische Existenz
vernichtet und getötet wird; die Mutter, deren Glück und Seelenfrieden getötet
wird, jedenfalls in unzähligen Fällen.
Drittes Beispiel: Das verbrauchende Klonen menschlicher Embryonen zu noch sehr
vagen therapeutischen Zwecken, wie es in England jüngst verabschiedet wurde.
Der Mensch, nicht mehr um seinetselbstwillen da, so könnte man das Wort
Menschenwürde auch umschreiben, sondern restlos verzweckt als Ersatzteillager,
als Rohstoff und Organlieferant für andere.
Liebe Schwestern und Brüder!
Weihnachten - das Fest der Würde jedes Menschen, weil diese Würde in Gott und
im Wunder der Menschwerdung Gottes ihre eigentliche und letzte Verankerung und
Begründung hat - dieses Weihnachten ist ein Vermächtnis von Gott her an uns
Menschen zugunsten von uns Menschen. Dass Gott Mensch wird, sagt daher nicht nur
etwas über Gott aus, sondern gerade auch über den Menschen, über unseren Wert
und unsere Würde von Gott her. Der Glaube daran und die Verantwortung vor Gott
und Mensch, die sich daraus ergibt, ist uns zu treuen Händen übergeben. Werden
wir jeweils unseren Teil dieser Verantwortung durch unser Reden und Tun
wahrnehmen?
Pfarrer Bodo Windolf
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