Christmette 2000
Ich weiß nicht, wie sie es
empfunden haben. Aber ist es nicht eine seltsame Eröffnung der Christmette, wie
wir sie vorhin gehört haben? Diese gewiß nicht sehr spannende Auflistung von
Jahreszahlen. Zuerst recht ungefähr: Einige Milliarden Jahre nach Erschaffung
der Welt und schließlich der Entstehung des Menschen; etwa 2000 Jahre nach der
Berufung Abrahams; dann wird es etwas genauer: von der 194. Olympiade ist da die
Rede; und nach diesem Bezug auf griechische Zeitrechnung darf auch die römische
nicht fehlen: genau im Jahre 752 nach der Gründung Roms und im 42. Jahr der
Regierung Kaiser Augustus' - genau zu diesem Zeitpunkt geschah es, dass Gott als
Mensch in unsere Welt trat, um sie zu heiligen. Was soll dieses neckische Spiel
mit solchen (Jahres-) Zahlen?
Was es soll, wird erst verständlich,
wenn wir uns einen anderen Sachverhalt bewußt machen. Die Überzeugung, dass
die andere , die jenseitige Welt , die Welt der Götter, dass aus ihr eine
Gottheit eintritt in unsere Welt und geboren wird und schließlich stirbt, gibt
es bei weitem nicht nur im Christentum. In vielen Variationen existiert diese Überzeugung
in anderen Religionen, allerdings so, dass es immer wie abgeschaut ist am
Kreislauf, am Stirb und Werde der Natur. So wie im Frühjahr die Saat, die
Lebenskräfte der Natur erwachen und geboren werden und reifen und verwelken und
schließlich sterben, um im nächsten Frühling das ganze neu zu beginnen, so
wird auch z. B. Osiris in der ägyptischen Mythologie immer wieder neu geboren,
um zu sterben und wieder zu kommen. Auch der Hinduismus kennt in den Avatars auf
etwas andere Art die Herabkunft eines Gottes, nämlich Vishnus, in eine irdische
Gestalt, unter anderem in die eines Ebers, einer Schildkröte, aber auch in die
eines Menschen, nämlich Krishnas. Ganze zehn solcher Herabkünfte zählt er und
diese Wiederholbarkeit zeigt: sie sind nichts Bleibendes, sondern nur eine vorübergehende
Erscheinungsweise, ohne sich mit der jeweiligen irdischen Gestalt wirklich
dauerhaft zu verbinden.
Es scheint also, dass das, was wir
Christen heute feiern, dass nämlich Gott in die irdische Gestalt eines Menschen
eingeht, dass der ewige Sohn des Vaters Mensch wird - es scheint, dass diese Überzeugung
als eine zwar noch vage, aber wirksame Idee, als eine Ahnung in den
Menschheitsreligionen fast seit Menschengedenken vorhanden ist.
Als Christen glauben wir, dass diese
Vorahnung nicht nur ein Mythos, eine
letztlich ungeschichtliche Idee geblieben
ist, sondern dass es einmal wahr wurde, so wahr, so konkret, dass ein genaues
Datum dieses ungeheuerlichen Geschehens angebbar ist; wir glauben, dass Gott
einmal tatsächlich eintrat in unsere Weltzeit, dass Er Teil ihrer Geschichte
wurde, und gerade dadurch unserer Zeit und Geschichte eine ganz neue Qualität
gab. Und genau das ist der rund, warum sich die Liturgie des heutigen Tages
nicht scheut, das gefeierte Ereignis mitten hineinzustellen in die weltlichen
Ereignisse von Olympiaden und Regierungszeiten der Profangeschichte.
Warum aber soll hierdurch unsere Zeit,
die Weltzeit, die persönliche Zeit unseres eigenen Lebens eine ganz neue Qualität
bekommen?
Wenn wir darauf schauen, wie die ausser- und vorchristliche Menschheit die Zeit
durchgängig erlebt hat, so war dieses Erleben vor allem geprägt von einer großen
Hoffnungslosigkeit. Die Vergänglichkeit, das ewige Kommen und Gehen, Werden und
Vergehen, dieser Kreislauf, diese Tretmühle ohne letztes wirklich lohnende Ziel
stand ganz im Vordergrund. Für den Griechen endet alles in der Trostlosigkeit
eines Schattendaseins, im Hades, für den fernöstlichen Menschen ist Erlösung
allein die Flucht aus diesem Kreislauf des Lebens und Wieder- und
Wiedergeborenwerdens, die Flucht aus der Vergeblichkeit unserer zeitlichen und
individuellen Existenz, indem ich mich als Ich auflöse und im Allgemeinen
verschwinde.
Im Christentum nun bekommt die als vergänglich,
vergeblich, also leer erlebte Zeit auf einmal eine ganz neue Bedeutung, einen
ganz neuen Gehalt. Der ewige Gott, Gottes Sohn selbst ist eingebrochen in diese
neue Zeit. Er, der Ewige, hat ein zeitliches Leben wie wir gelebt. In Ihm
gewinnt unsere Zeit nun ein Ziel, ja
in Ihm und durch Ihn kann sie ewigkeitshaltig
werden. Was heißt das? Es ist aber
nicht so, dass Er, Gott als einer der
Großen und Mächtigen und Privilegierten herabgestiegen wäre in unsere
Weltzeit. Das Erstaunlichste ist, dass das genaue Gegenteil der Fall war. In der
unscheinbaren Alltäglichkeit eines
unscheinbaren Kindes unscheinbarer Eltern in unscheinbarer Umgebung wird Er
geboren. In eben dieser Unscheinbarkeit, ohne im geringsten Aufhebens von seiner
Person zu machen, verbringt Er, Gottes ewiger Sohn, dreißig Jahre und damit
etwa neun Zehntel seines Lebens, als hätte er nichts Wesentliches zu erledigen.
So lebt er in einer Alltäglichkeit, die in jeder Hinsicht der Alltäglichkeit
des Lebens der meisten Menschen, auch unseres eigenen Lebens, gleicht.
Natürlich lebt er dabei ganz vom Vater
her, eingetaucht in Ihn. Aber, wo Menschen beginnen, das eigene Leben, den
eigenen oft so grauen, eintönigen Alltag mit Gott, mit Jesus Christus, mit
Blick auf Ihn und von Ihm her zu leben, da bekommt unsere Zeit etwas von der
Bedeutung und von der Fülle seiner Zeit. Er, der einzige, ist hineingebrochen
in die Zeit der Menschheit. Zugleich will er das, was er damals getan hat, auch
heute tun; er will einbrechen, Einang finden in meine persönliche Zeit, in mein
persönliches alltägliches Leben. Er ist auf Herbergssuche, damals wie
heute.
Liebe Schwestern und Brüder!
Wo man einmal im Jahr Weihnachten
feiert, mit all den Veräußerlichungen, die wir alljährlich erleben, da bleibt
das Fest banal und ohne Bedeutung für unser Leben. Wo Er aber eintreten darf in
unser Dasein, wo er Herberge findet in unseren Gedanken, in unserem Beten, im
sonntäglichen Gottesdienstfeiern, in der Verrichtung und Bewältigung unserer
alltäglichen Freuden und Nöte, da fängt man an, Weihnachten wirklich zu
feiern; kein isoliertes Fest - Morgen vorbei; da hört auch unser Leben auf,
manchmal so banal und so leer und so oberflächlich dahinzuplätschern, sondern
da kann es erfülltes, von Gott, von Gottes Ewigkeit erfülltes Leben
werden.
"Die Zeit ist erfüllt, das
Gottesreich ist nah", so werden nach Markus die ersten öffentlichen Worte
Jesu sein. Dass wir erfüllte Zeit und damit erfülltes Leben leben und so unser
ganzes Dasein weihnachtlich wird, weil Jesus, das ewige Kind des Vaters, darin
Platz und Herberge gefunden hat, das wünsche ich Ihnen und Ihren Familien zum
diesjährigen Weihnachtsfest.
Pfarrer Bodo
Windolf
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