Die Geschichte der
Menschwerdung Gottes beginnt nicht zufällig in Betlehem - und nicht in
Jerusalem:
Betlehem ist ein Ort, wo Gott zuerst
den Hirten geoffenbart wird: ein Ort, wo Menschen unter unmenschlichen Zuständen
leiden; wo Menschen Hunger und Durst haben nach dem Frieden Gottes; wo Menschen
frieren, kein Licht mehr sehen, ausgesetzt und heimatlos sind.
Demgegenüber ist Jerusalem der Ort, wo die Satten, die Mächtigen, die
Wohlsituierten leben; wo Menschen nichts erwarten, sondern Veränderungen fürchten;
wo alles so bleiben soll wie es ist; wo Menschen den Blick abwenden von ihrer
eigenen Sehnsucht nach dem Himmel und nach Leben; wo Menschen sich über andere
erheben und versuchen, sich hier bequem einzurichten und gut zu funktionieren;
wo Menschen ihre Angst betäuben und sich ständig um sich selber drehen.
Jerusalem - das ist ein Ort, wo Menschen von der Furcht als grundlegendem
Lebensgefühl geprägt sind: der Furcht vor Gott, der Furcht vor dem Jüngsten
Gericht und von der Furcht davor, am Ende als Verlierer dazustehen. Natürlich
hat dieser Gott für die Menschen auch eine liebevolle Seite, aber er ist sehr
ambivalent: er ist der liebende und der strafende Gott zugleich.
Die Botschaft an die Hirten in Betlehem lautete: „Fürchtet
euch nicht! Ich verkünde euch eine große Freude: heute ist euch der Retter
geboren!“ Sie bezeichnet die grosse Wende, die dann durch die Verkündigung
Jesu eintritt: wir brauchen Gott nicht mehr zu fürchten, Gott hat gar keine
furchtbare Seite - er ist ein liebender Gott.
Der erste Johannesbrief, aus dem wir eben gehört haben, wird nicht müde, das
in vielen Wendungen und Bildern zu betonen: Gott ist die Liebe - und nichts
sonst.
Betlehem – das ist ein Ort, wo Menschen von einem ganz anderen Lebensgefühl
geprägt sind: sie vertrauen sich dieser Liebe Gottes zu uns Menschen an, einer
Liebe, die grund-los in einem doppelten Sinne ist: Für diese Liebe gibt es
keine Begründung: Gott liebt uns nicht weil..., sondern: Gott liebt uns. Punkt.
Diese Liebe können wir uns nicht verdienen, sie ist uns geschenkt. Und zum
anderen: Diese Liebe hat keinen Grund, d.h. wir können sie nie ausschöpfen,
sie ist nie zu Ende.
Aber: Vertrauen auf diese Liebe, uns von Gott lieben lassen – das fällt
uns Menschen sehr schwer. Denn es kann Angst machen, die Sicherheit, den
Boden unter den Füßen von einem anderen zu erwarten und selbst nichts dazu zu
tun. Es scheint viel mehr Sicherheit zu bieten, wenn ich mich auf meine Leistung
verlasse, auf mein Halten der Gebote und Ordnungen. Das ist sicher auch eine
Lebensmöglichkeit; sie wird von den meisten heute gelebt, die sich noch in der
Kirche engagieren oder überhaupt noch in die Kirche gehen. Aber: es geht dabei
so unendlich viel an Leben verloren!! Es bleibt so vieles ungelebt, was so erfüllend
sein könnte. Und je länger ich das miterlebe, desto tiefer berührt es mich.
Die Hirten waren
kindlich - vertrauend genug, um den Stern zu sehen, den Engel zu hören – und
sie haben Gott gelobt und gepriesen, weil alles tatsächlich so war, wie er es
ihnen gesagt hatte. Sie haben - wie Maria - der Botschaft des Engels, der
Botschaft Gottes geglaubt, sich auf ihn verlassen. Der Himmel öffnete sich für
die Menschen - und nur die Hirten hatten Augen, das zu sehen.
In Betlehem hat die Liebesgeschichte Gottes mit uns Menschen unwiderruflich
begonnen - das macht Mut für das neue Jahr.
Mit dem Schritt ins neue Jahr dürfen wir auch den nächsten Schritt tun auf die
Liebe Gottes zu, den nächsten Schritt in dieser Liebesgeschichte, umfangen von
der Liebe, aus der wir niemals herausfallen können und die stärker ist als
alles in der Welt. Amen.
Dr.
Elfriede Munk, Garching, St. Severin
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