Predigt vom 16/17. Sept 2000 zur Erklärung
„Dominus Jesus“
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St. Severin Garching
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Prediger |
Pfarrer
Bodo Windolf
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Thema |
Römische Erklärung „Dominus Jesus“ vom August 2000
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Predigt-Text |
Aufgrund
verschiedener Anfragen habe ich mich vorige Woche dazu hinreißen lassen, eine
Predigt über die jüngste Erklärung aus Rom „Dominus Jesus“ anzukündigen. Wie
ich inzwischen merke, war es leichtsinnig, weil ein 10- oder auch 15-minütiges
Reden über ein so komplexes Thema fast nur zu einem unbefriedigenden Ergebnis
führen kann. Aber da Versprechen einzulösen sind, sei der Versuch gewagt.
Das
eigentliche Anliegen der Erklärung ist
ein ganz anderes als das, was so große Empörung ausgelöst hat. In erster
Linie geht es in dem Schreiben um eine Antwort auf genau jene Frage, die Jesus
im heutigen Evangelium an seine Jünger richtet: „Ihr aber, für wen haltet ihr
mich?“
Ist
er ein Prophet oder Religionsstifter, wie es viele vor und nach ihm gab, also
einer unter vielen? Oder ist er der einzig wahre Heilbringer, der das Heil
aller will, an dem vorbei aber niemand zum Heil gelangt (vgl. Apg 4,12)?
Die ausführliche und sehr differenzierte Antwort auf diese zentrale und für
unsere Zeit viel wichtigere Frage als die, die so viel Staub aufgewirbelt hat,
ist leider ins Hintertreffen geraten durch die Passagen über die Kirche.
Ärgernis hat erregt, dass unter Berufung auf das II. Vaticanum gesagt wird, die
eine Kirche Jesu Christi sei in vollgültiger Weise nur in der katholischen
Kirche verwirklicht, während alle von ihr getrennten Kirchen und kirchlichen
Gemeinschaften nur in gestufter Weise an ihr teilhaben.
Ich
möchte jetzt nicht der Frage nachgehen, ob es von Rom besonders sensibel ist,
im noch laufenden Heiligen Jahr, das ja nach dem Willen des Heiligen Vaters
selbst unter dem besonderen Leitwort der Versöhnung auch und gerade mit den
getrennten Christen steht, eine solche Erklärung zu veröffentlichen.
Ich
möchte jetzt nur die letztlich entscheidende und damit strikt theologische
Frage stellen: Welches Bild der Kirche steht eigentlich hinter der Erklärung
und lassen sich Gründe finden, oder auch nicht, dass dieses Kirchenverständnis
der Intention Jesu entspricht?
Wenn
man die Begebenheit des heutigen Evangeliums in der Version nach Matthäus
liest, so antwortet Jesus dort auf das große Credo des Petrus: „Du bist der
Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“: „Selig bist du, Simon, Barjona; denn
nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im
Himmel. Ich aber sage dir: Du bist
Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Pforten der
Hölle werden sie nicht überwinden (Mt 16,17f).
Was
hat es mit dieser Kirche, von der gesagt wird, Christus selbst sei ihr
„Baumeister“, auf sich?
Gibt
es überhaupt sog. kirchengründende Akte Jesu, (was von manchen Exegeten bestritten
wird)? Und wenn ja: Existiert diese von ihm gestiftete Kirch noch irgendwo,
diese Kirche, der er die Verheißung gegeben hat, dass sie nicht zerstört werden
kann, weil nicht einmal die Pforten der Hölle sie zu überwältigen vermögen?
Oder
- hat sie sich doch verflüchtigt, ins
Unsichtbare aufgelöst, ist zerschlagen und zersplittert worden in unzählige
Scherben, und nur die Summe all dieser Scherben, sprich der Konfessionen und
christlichen Splittergruppen kann irgendwie Seine
Kirche ergeben?
Zunächst
einmal: Auch wenn man sicher nicht sagen kann, die Kirche gehe einfachhin auf
einen gewissermaßen datierbaren Gründungsakt Jesu zurück, ab dem es sie dann
gegeben hätte, so lässt doch der neutestamentliche Befund keinen Zweifel, dass
es sog. kirchengründende Akte Jesu gegeben hat, die auf die spätere Gestalt
sehr deutlich vorausweisen.
Will
man Jesu Tun an Israel beschreiben, so könnte man es am kürzesten als eine Sammlungsbewegung beschreiben. Nach dem
Johannes-Evangelium ist Er gekommen,
„um die versprengten Kinder Gottes zu sammeln“
(11,52). Und selbst aus dem Klageruf über all die, die sich Ihm verweigern,
hört man noch diese zentrale Intention: „Jerusalem, Jerusalem ... Wie oft
wollte ich deine Kinder um mich sammeln,
so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt; aber ihr habt nicht
gewollt“ (Mt 23,37).
Aus
all denen nun, die Jesus trotz aller Verweigerung als Jünger um sich sammeln
konnte, wählt Er 12 zu einem besonderen Dienst aus. Die Zahl 12 zeigt
unübersehbar, dass hier aus dem alten 12-Stämmevolk das neue Israel, das Volk
eines neuen Bundes, also die Kirche, hervorgehen soll. Diese 12 erhalten eine
Sendung, die Jesus analog zu seiner eigenen formuliert. „Wie mich der Vater
gesandt hat, so sende ich euch“. D.h.: So wie Jesus den Vater hier auf der Erde
repräsentiert, vergegenwärtigt hat, so sollen nach seinem Tod die Apostel
(übersetzt: „die Gesendeten“) Christus für die Kirche vergegenwärtigen.
Obwohl
diese Gesendet-Beauftragten ganz und gar in
der Kirche sind, daher als Getaufte gleich
zu gleich mit allen anderen Getauften, haben sie zugleich den Auftrag,
zeichenhaft, d.h. sakramental, das bleibende Gegenüber von Jesus Christus zu seiner Kirche sichtbar darzustellen. Denn wir alle sind Christus gegenüber immer
Hörende und Empfangende. Dies aber wird zeichenhaft
deutlich, v.a. bei der gottesdienstlichen Verkündigung des Wortes Gottes
und bei der Feier der Sakramente, im Gegenüber von Apostel und Gemeinde, bzw.,
bei deren Nachfolgern, als das Gegenüber von geweihtem Amtsträger und Gemeinde.
Darüber
hinaus stimmen alle Evangelien darin überein, dass aus diesem Zwölferkreis
nochmals einer von Jesus ausgewählt
wird, nämlich Petrus, dem Er in einer noch einmal besonderen Weise
Verantwortung überträgt für die um Christus versammelte Heilsgemeinde.
Allein
diese wenigen und bei weitem nicht erschöpfenden Hinweise zeigen eine schon im
Ursprung deutlich werdende Struktur der Kirche. Aber diese ist gewissermaßen
nur die Außenseite, das äußere Gerüst. Das innere Geheimnis der Kirche, wie sie
von Christus gedacht ist, zeigt sich an anderer Stelle, nämlich im
Abendmahlssaal mit der Einsetzung der Eucharistie, die wohl als Geburtsstunde
der Kirche bezeichnet werden kann.
Hier
schenkt Jesus den Seinen die Liturgie seines Todes und seiner Auferstehung. Im
Rahmen eines Paschamahles, das die
Israel begründende Befreiungstat Jahwes erinnert, spricht er das Wort vom neuen und ewigen Bund, angekündigt von
den Propheten (Jes 55,3; Jer 31,31ff; Ez 16,60), dessen Vorausbild der
Bundesschluss am Sinai ist, nun aber
neu gestiftet wird in seinem vergossenen Blut und in der Hingabe seines Leibes
für uns. Indem er mit Paschamahl und Bundesritus vom Sinai die Gründungsakte
Israels aufnimmt, und in sakramentalen Zeichen vorausfeiert, was er am Kreuz leibhaftig
vollziehen wird, stiftet er die Eucharistie als Mitte, Ursprungs- und
Lebensprinzip der Kirche. “Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine
Auferstehung preisen wird, bis du kommst in Herrlichkeit“, so preisen wir
dieses innerste Geheimnis unseres Glaubens, sooft wir es feiern. D.h.: Von Jesu
Erlösungstod her wird hier der Kirche wie nirgends sonst das eigentliche
Prinzip ihrer Gemeinschaft und Einheit geschenkt. Nicht einfach menschliche
Liebe verbindet die Gläubigen an diesem Ort miteinander, sondern allem voraus
die Liebe Jesu Christi, die Liebe des am Kreuz für uns Gestorbenen und
Auferstandenen. Es wird die innigste vertikale
Gemeinschaft von Gott zum Menschen geschenkt, indem ich Ihn empfange. Es wird horizontale Gemeinschaft von Mensch zu
Mensch gestiftet, indem alle anderen mit mir den einen Jesus Christus empfangen.
Genau
so aber wird Kirche, was sie
empfängt: Leib Christi; sie empfängt
immer neu, was sie ist: Leib Christi,
mit welchem Wort Paulus das Wesen der Kirche beschreibt.
Aber das genügt noch
nicht. Die Eucharistie verbindet nicht nur die wenigen Menschen, die sie mehr
oder weniger zufällig an einem bestimmten Ort zu bestimmter Zeit miteinander
feiern, z.B. hier in Garching. Wollen diese sich nicht als einen in sich
geschlossenen Zirkel verstehen, müssen sie sich noch einmal öffnen zur
nächstgrößeren Einheit hin, also verbunden sein auch mit denen, die im selben
Glauben dieselbe Eucharistie in den umliegenden Orten feiern. Der sichtbare Repräsentant dieser Einheit im
Glauben und in der Feier des Sakraments ist auf der Ebene der Ortskirche bzw. der Diözese der Bischof. Aber
auch die Ortskirche mit ihrem Bischof steht noch einmal in der größeren
Gemeinschaft der Weltkirche, die im Papst den beauftragten Repräsentanten der Einheit hat.
Dies kommt zum Ausdruck,
wenn im Hochgebet mit namentlicher Nennung gebetet wird, dass wir diese
Eucharistie in Glaubens-, Hoffnungs- und Liebesgemeinschaft mit unserem Papst
und Bischof feiern. Diese namentliche Nennung
drückt zum einen aus: es ist nicht ein abstraktes Amt, das Garant der Einheit
sein soll, sondern mit ihrer Person sollen die in diese amtliche Verantwortung
Gerufenen für die Einheit einstehen; zum anderen: es ist ein- und dieselbe
Eucharistie, die in Garching, in Hamburg, in der Münchener oder römischen
Bischofskirche oder sonstwo auf der Welt gefeiert wird.
Die Glaubensgemeinschaft war dabei von Anfang an Voraussetzung der Kommuniongemeinschaft schon in der
jungen Kirche. Deswegen wurden für Christen, die auf Reise waren, sog. Kommunionbriefe ausgestellt, die
bestätigten: der Betreffende steht mit Bischof xy in Gemeinschaft und kann
daher an der Eucharistie einer anderen mit diesem in Gemeinschaft stehenden
Ortskirche teilnehmen.
Soviel
dazu noch zu sagen wäre: als kurzer Einstieg in die Problematik der
Kircheneinheit muss es genügen.
Woran
wir bis heute alle leiden, ist, dass dieses beschriebene sakramentale, im sakramentalen
Amt und im Sakrament der Eucharistie verwurzelte
Kirchenverständnis, in der Reformation zerbrach. Zum einen wird von Luther das
sakramental verstandene Amt verworfen. Ganz bewusst will der evangelische
Amtsträger – und das gilt bis heute – sich nicht im Sinne des sakramental
geweihten katholischen oder orthodoxen Priesters verstehen. Zum anderen wird
bei Luther der Kirchenbegriff mehr und mehr durch den der Gemeinde ersetzt. Was Kirche ist, findet eigentlich nur hier statt,
besonders in der das Wort Gottes hörenden Versammlung der Gläubigen vor Ort.
Die Feier des Abendmahls, über Jahrhunderte auf ein Minimum reduziert, bekommt
erst in den letzten Jahrzehnten wieder einen größeren Stellenwert.
Freilich mussten sich
mit dem Übertritt ganzer politischer Einheiten zur Reformation auch
gemeindeübergreifende Strukturen herausbilden. Diese lehnten sich, wie es nahe
lag, an die politischen Strukturen an. Weil nun aber in den so entstandenen
Landeskirchen das Wesen der Kirche nach lutherischem Verständnis nicht
angesiedelt war, deswegen konnte er ihre Leitung auch den politischen Führern,
nämlich den Landesfürsten übertragen.
Seit 1918 hat sich diesbezüglich v.a. in Deutschland mit der Abdankung der Monarchien und Fürstentümer und der damit einhergehenden Auflösung des landesherrlichen Kirchenregiments einiges geändert. Nicht aber hat sich geändert, dass das sakramental verstandene Amt sowie das Verständnis der Eucharistie, wie ich es zu beschreiben versucht habe, und damit auch die sakramental begründete Struktur der Kirche abgelehnt wird. Nach evangelischem Verständnis ist daher die katholische Kirche eine kirchliche Gemeinschaft unter anderen und somit ein Teil der einzigen, aber unsichtbaren, in ihrer Einheit zerbrochenen Kirche. Dieses Verständnis ist das gute Recht jedes evangelischen Christen. Allerdings kann auch der katholischen Kirche nicht das Recht bestritten werden, ihr eigenes Selbstverständnis zu haben und von daher ihr Verhältnis zu den von ihr getrennten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu formulieren. Manche Stellungnahmen evangelischer Vertreter, so menschlich verständlich sie auch sein mögen, klangen mir sehr danach, dass es Ökumene eigentlich nur bei Übernahme des protestantischen Kirchenbegriffs geben könne.
Zum Schluss ist mir noch folgendes sehr wichtig. Was ich jetzt über die Kirche insgesamt ausgeführt
habe, sagt noch lange nichts darüber aus, wie tief der einzelne Christ gleich
welcher Konfession durch Glaube,
Hoffnung und Liebe mit Christus und damit mit Seiner Kirche verbunden ist.
„Viele, die drinnen sind, sind draußen, und viele, die draußen sind, sind
drinnen“, sagt der hl. Augustinus. Wie viele Katholiken , die es auf dem Papier
sind, stehen weit außerhalb der Kirche, und wie viele Christen aller
Denominationen, ja sogar Ungetaufte, sind in tiefster, manchmal auch
unbewusster Weise mit Christus verbunden und daher Glieder an Seinem Leib.
Und daher sei mir eine persönliche Schlussbemerkung gestattet.
In
einem lesenswerten Artikel schrieb Edo Reents in der SZ vom 7. September: “Im
Grunde zeigt es nur, dass ihm (nämlich Ratzinger bzw. dem Papst) die Dinge
nicht einerlei sind“. Leidet die Ökumene an der Basis nicht tatsächlich oft
daran, dass vieles zu sehr einerlei geworden ist? Dass die Frage nach der
Wahrheit weichen muss zugunsten einer Einheit um jeden Preis, der nur „die da
oben“ noch im Wege stehen, die aber keine tragfähige Grundlage hat und daher
die Gräben am Ende noch tiefer aufreißen könnte. Ich für meinen Teil muss
jedenfalls sagen: Mit einem evangelischen Christen, der tief verwurzelt ist in
seiner lutherischen Tradition, der in echter Gott- und Christusverbundenheit
lebt, mit dem ich in gegenseitigem Respekt um die Wahrheit durchaus streiten
kann, dabei aber zugleich voneinander lernend, und mit dem ich die noch
bestehende Trennung aushalte, fühle ich
mich trotz möglicherweise auch gewichtiger Meinungsverschiedenheiten in viel
tieferer Einheit verbunden als mit einem Katholiken, dem die Wahrheit und das
Ringen um die Wahrheit, wie gesagt, letztlich einerlei sind. Um ein solches
Ringen um die Gestalt der Kirche, wie Christus
sie wollte, nicht wie wir sie vielleicht gerne hätten, darum muss es gehen;
Seine Wahrheiten muss zu unserer gemeinsamen Wahrheit werden. Daher darf
der Dialog nicht abbrechen und noch weniger das Gebet für die gesuchte Einheit.
Pfarrer Bodo Windolf, Garching St. Severin
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