Predigt vom 23. April 2000 (Osternacht)
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St. Severin Garching
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Prediger |
Pfarrer
Bodo Windolf
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Thema |
Osternacht
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Predigt-Text |
Die Liturgie der
Osternacht mit ihrer tiefen Symbolik und den unzähligen, unsere Geduld wohl
auch ein wenig strapazierenden Lesungen ist sicher nicht ganz einfach zu
verstehen. Und so möchte ich einmal versuchen, die Dramaturgie, das Drehbuch
dieser Feier zumindest in einigen Aspekten zu erschließen.
Ich
sagte schon am Gründonnerstag, dass die Gottesdienste der drei österlichen Tage
einen großen Bogen schlagen von der
Abendmahlsfeier über Karfreitag, Karsamstag bis zum Osterfest und daher eine einzige Liturgie bilden. Das wird
daran deutlich, dass das Kreuzzeichen, mit dem wir gewöhnlich unsere
Gottesdienste eröffnen und beschließen, nur am Beginn der Abendmahlsliturgie
stand und erst wieder am Ende der Osternachtfeier seinen Platz haben wird.
An
welcher Stelle der einen Feier der drei österlichen Tage setzt nun die
Osternacht ein? Die äußere Dunkelheit deutet ohne Zweifel auf die Nacht des
Karsamstags hin, zu dem ihr Beginn also eindeutig noch gehört. Allerdings nicht
nur auf die Nacht der Grabesruhe Jesu; nein, viel mehr noch auf die Nacht des
„Todes Gottes“, auf die Nacht der Gottesfinsternis, der Verlassenheit der Welt
von Gott, weil die Welt Ihn hinausgestoßen hat: „Hinweg mit Ihm! Ans Kreuz!“ Es
ist die Nacht der Welt selbst; einer
Welt, beladen mit Bergen von Schuld, Bosheit, Zwietracht, Krieg; einer Welt,
ertrinkend in unabsehbaren Meeren aus Leid und Schmerz, auf denen es natürlich
kleinere und größere Inseln der Freude gibt, die aber schließlich endgültig zu
versinken scheinen in der Nacht des Todes.
Die
Dunkelheit der Osternacht, Symbol für die Nächte der Welt – auf einmal wird sie
erhellt durch ein einziges, winziges Licht, das der Osterkerze. Sollte es
möglich sein, dass es genauso einen
einzigen gegeben hat, dessen Licht stärker noch war und ist als alle
Finsternisse unserer Welt zusammengenommen? Und dass, wer die Kraft hat, das zu
glauben, an Ihn zu glauben und aus
Ihm zu leben, selbst zu einem Licht wird, entzündet an Seinem, so wie wir
unsere kleinen Kerzen an der großen Osterkerze entflammt haben?
Das
Exultet besingt schon gleichsam vorwegnehmend genau diesen Glauben, so als
könne es den Jubel über diese Frohbotschaft nicht mehr erwarten und nicht mehr
zurückhalten.
Doch
dann die Lesungen: ganz weit greifen sie nochmals zurück und bahnen einen
langen, mühsamen Weg zum Evangelium und seiner Osterbotschaft.
Das
Abenteuer der Welt beginnt mit der Schöpfung, die im Menschen als „Abbild
Gottes“ gipfelt. Dass der Mensch Abbild Gottes ist, das ist die Aussage über den Menschen, die die
erste Lesung allem weiteren voranstellt. Nie ist Größeres über den Menschen
gesagt worden als in diesem 1. Kapitel der jüdisch-christlichen Bibel. Und doch
war es ihm, dem Menschen, zu wenig. Er, der als einziges Geschöpf auf Erden Du sagen kann, Du zu Gott und Du zum
Mitmenschen, der daher zwischen ICH und DU frei zu wählen vermag, er wählte das
ICH. ICH will sein wie Gott! ICH wie Gott! Alle anderen DUs, ob Gott oder
Mensch, erst an zweiter, dritter oder noch späterer Stelle; jedenfalls hinter
und unter mir!
Wer
Gott abwählt, wählt auch den Mitmenschen ab. Das ist die Kernaussage, wenn
unmittelbar nach dem Abfall des Menschen von Gott der Brudermord Kains an Abel
berichtet wird. In ihm zeichnet sich schon alle kommende Zwietracht und das
sich über die Erde ausbreitende Dunkel ab.
Doch
Gott überlässt Seine Schöpfung nicht sich selbst. Den langen, mühsamen Heilsweg
Gottes mit den Menschen zeichnen die weiteren Lesungen nach. Es klingt der
Noach-Bund an, der Bund mit der ganzen Schöpfung,
der als erster gestiftet wird, weil Gott das Heil aller Geschöpfe will. In dieser großen Klammer stehen die anderen
Bundesschlüsse. Zuerst der mit Abraham, dem bedingungslos Glaubenden, Hoffenden
und Gehorchenden. Die Lesung über ihn wurde heute überschlagen. Dann der Bund
mit dem Volk aus Abraham, Isaak und Jakob, mit dem Volk Israel, dem die große
Befreiungstat Gottes aus der Knechtschaft Ägyptens vorausgeht. Damit sind die
beiden Grundthemen des Alten Testaments angerissen. Im ganzen Heilshandeln
Gottes am Menschen geht es um den Bund
der Liebe zwischen Gott und Mensch sowie um Freiheit, um Befreiung von allem, das Menschen geistig, seelisch
und körperlich knechtet und versklavt. Diese Themen variieren die folgenden
Prophetenlesungen auf verschiedene Weise. So sehr die Propheten immer wieder
auch genötigt waren, im Auftrag Gottes Gerichtsworte zu verkünden, um das Volk
zu Gott zurückzuführen, so sehr leuchtet dahinter noch stärker die geradezu
zärtliche väterlich-mütterlich-bräutliche Liebe Gottes zum Menschen auf. „Kann
man denn die Frau verstoßen, die man in der Jugend geliebt hat? Für eine kleine
Weile habe ich dich verlassen, doch mit großem Erbarmen hole ich dich heim ...
spricht dein Erlöser, der Herr.“
So
ist nun der lange Weg rekapituliert, der über Jahrhunderte zu Christus geführt
hat. Und nun das absolut Neue. In Ihm
begnügt sich Gott nicht mehr nur damit, von ferne, vom Himmel her, unberührt
von menschlichem Schmerz und Elend, Heil zu wirken. Vielmehr taucht Gott in
Christus nun selbst in die Nacht dieser unserer Welt ein, und zwar unendlich,
unvorstellbar viel tiefer als es je Menschen erleiden mussten. Wenn das wahr
ist, dann kennt Gott gewissermaßen aus „persönlicher Erfahrung“ auch alle meine
eigenen Nächte, ja die Nächte von Schuld, Schmerz und Tod jedes Menschen. Aber dann ist auch wahr, dass alle meine Nächte und
die Nächte jedes Menschen von Ihm her, vom Glauben an Ihn her, von einem neuen
Licht durchdrungen und verwandelt werden können. Dann gibt es keine Schuld
mehr, die nicht in Vergebung, keinen Schmerz mehr, der nur sinnlos und nicht in
Sinn, z.B. in miterlösendes Leid, und keinen Tod mehr, der nicht in Leben
verwandelt werden könnte. Denn eintauchend in die Nacht der Welt hat Jesus sie
in der Tat von innen her aufgesprengt und mit Seinem verwandelnden göttlichen
Licht von innen her erfüllt. Diese Verwandlung aller Nächte der Welt von Leid,
Schuld und Tod in Licht, Vergebung und Leben nennen wir Christen Auferstehung.
Dieses Licht des
Auferstandenen soll aber nicht nur auf unseren Osterkerzen brennen, sondern vor
allem in unseren Herzen. Er, der das „Licht der Welt“ ist, will, dass wir durch
Ihn selbst zum „Licht der Welt“ werden. Und daher gehört zur Dramaturgie der
Osternacht unbedingt die Erneuerung des Taufversprechens, in das die
Verkündigung der Auferstehung Jesu einmündet. Denn wir sollen das Geschehen der
Osternacht nicht als Zuschauer feiern, sondern als solche, die in das
Geschehen, in das Drama der Welt als Mitstreiter
Christi hineingenommen sind.
Die
Eucharistie aber, die sich anschließt, soll uns für diese Sendung stärken; für
die Sendung, das Licht Christi hinauszutragen und es selbst zu sein in der Welt
und für die Welt. Und in diesem Sinn möchte ich schließen mit dem uralten
Ostergruß der Ostkirche: Christus, der alle Nächte dieser Welt von Sünde, Leid
und Tod verwandelt hat in Sein Licht, ist auferstanden. Ja, Er ist wahrhaft
auferstanden.
Pfarrer Bodo Windolf, Garching St. Severin
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